Mittwoch, 15. August 2012

Jeder muss sich selbst helfen

Otmar Issing präsentiert in der Zeit (33) die gängigen Argumente gegen eine politische Lösung der Euro-Krise. Und macht dabei implizit auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam, der in der aktuellen Diskussion zu wenig Beachtung findet.

Die Standard- Argumente nach Issing:
1. Die politische Integration ist ein langer und schwierger Prozess, dessen Ausgang ungewiss ist.
Zunächst einmal hat niemand der Befürtworter behauptet, es handele sich dabei um eine Lösung mit Sofort-Wirkung. Es wird doch viel darauf spekuliert, dass die Einigung auf die Bedingungen einer solchen Integration eine Signalwirkung auf die Märkte ausüben.
Weiterhin ist zu hoffen, dass eine möglichst konkrete Formulierung dieser Bedingungen die Ungewissheit des Ausgangs nach Möglichkeit reduziert; aber da wir in einer Demokratie leben, muss man wohl mit einem gewissen Restrisiko leben.

2. Die Einigung auf eine politische Integration führt dazu, dass die "angeschlagenen" Länder in ihren Reformanstrengungen nachlassen.
Das ist im Rahmen der Möglichkeiten, aber wie realistisch ist dieses Szenario? Ist wirklich jemand davon überzeugt, dass sich die Griechen, Spanier und Italiener von dem Moment der Übereinkunft an auf die faule Haut (bzw. in die Sonne) legen werden, weil sie überzeugt davon sind, dass es die fleißigen Deutschen schon richten werden? Dieses Argument ist nicht nur respektlos gegenüber all diesen Menschen, die momentan unter erheblich erschwerten Bedingungen ihren Lebensunterhalt versuchen zu bestreiten; es schürt vor allem das Misstrauen gegenüber den Politikern in den "Geberländern", die nach Issing wohl nicht in der Lage sind, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

3. Selbst wenn es zu solchen Verträgen kommt, kann man diesen nicht trauen, da die bisher bestehenden Vereinbarungen ebenfalls gebrochen bzw. aufgeweicht wurden.
Dies ist ein interessanter Aspekt und er fasst in nuce die Haltung zusammen, die den anderen beiden Argumenten zu Grunde liegt: Issing spricht den Bürgern in Europa jegliche Lernfähigkeit ab. Die Menschen bzw. ihre Regierungen haben sich bisher nicht an Verträge gehalten und sie werden es auch in Zukunft nicht tun, wenn es zu ihrem Nachteil ist.

Damit macht Issing auf einen Aspekt aufmerksam, der bisher kaum angesprochen worden ist und den man laienhaft die "symbolischen Kosten" des Zerfalls der Euro-Zone nennen könnte.
Blicken wir doch einfach mal fünfzig oder hundert Jahre ind Zukunft. Die Euro-Zone hat sich aufgelöst, jedes Land hat seine nationale Währung wieder eingeführt und fährt damit mehr oder weniger gut.
Was werden unsere Enkel ihren Kindern erzählen, wenn sie nach dem mittlerweile historischen Projekt der europäischen Integration und seinem Scheitern gefragt werden? Na ja, die Menschen konnten sich damals eben nicht einigen, weil manche mehr Geld hatten und andere weniger und es deshalb ständig Konflikte gab. Und unsere Urururenkel werden sich verwundert fragen, warum sich die Europäer damals nicht einfach an einen Tisch gesetzt und eine Lösung gefunden, die die Eigenarten der Einzelnen nach Möglichkeit respektiert.

Vielleicht es vermessen, das zu behaupten, aber es fühlt sich momentan so an, als hätten Gegner der Integration diese Werte der Aufklärung schon längst aufgegeben. Ihrer Auffassung nach können sich Menschen nicht auf das Vernünftige einigen, sie können nicht zu Gunsten der Allgemeinheit auf ihren persönlichen Vorteil verzichten und vor allem können sie sich nicht entwickeln und aus ihren Fehlern lernen.

Natürlich kann man hier einwenden, dass in Zeiten der Post-Alles die Werte der Aufklärung längst überholt sind. Aber wenn man sich den politischen Diskurs genauer anschaut, wird man schnell eines Besseren belehrt. Westliche Poltiker prangern den Paternalismus in arabischen, afrikanischen und asiatischen Ländern genau unter Berufung auf diese Prämissen an: Man solle die Bürger über Wohl und Wehe des Landes entscheiden lassen und sie nicht zu Gunsten der Fehlervermeidung entmündigen.
Wie kann die europäische Politik solchen Ländern weiterhin gegenübertreten, wenn sie genau diese Werte längst verabschiedet hat und nur noch wirtschaftlichen Interessen folgt?

Die symbolischen Kosten eines Zerfalls der Euro-Zone lassen sich nicht quantifizieren; aber ursprünglich bestand der Unterschied zwischen Wirtschaft und Politik auch darin, dass letzere Raum für Ideen bereithält, dass sie Menschen nicht auf ihren Status als Marktakteure reduziert.
Vielleicht wäre die Rückkehr zu einem solchen Verständnis von Politik der erste Schritt , sich von der Wirtschaft zu emanzipieren. Vielleicht braucht die europäische Politik einfach eine zweite Aufklärung, um sich von ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit gegenüber den Märkten zu befreien.


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