Dienstag, 28. August 2012

It's a competitive world

http://www.dailymotion.com/video/x1muzr_depeche-mode-everything-counts-live_music

Dave Gahan hat wahrscheinlich ganz neue Maßstäbe gesetzt, wenn es um intensives Leben geht: Der Mann war aufgrund seines Drogenkonsums zwei Mal klinisch tot. Wie kann man das toppen?

Aber es geht doch nicht mehr nur um möglichst intensives Leben im Sinne eines memento mori; auch das Sterben ist bei vielen mittlerweile eine Inszenierung, die Zuschauer braucht.
Früher hat man berühmte Menschen umgebracht, um selbst berühmt zu werden. Der Nachteil bspw. eines Präsidentenmordes besteht aber darin, dass der Ruhm des Opfers den des Täters weiterhin überstrahlt und letzterer zu einer Beschreibung à la "Der Mörder von xy" degradiert wird.

Also erscheint es als neue Strategie, möglichst viele unbekannte Menschen und dann sich selbst zu töten. Warum erleben wir aber gerade einen inflationären Anstieg solcher Amokläufe?

Natürlich kann man hier die üblichen Trigger anführen: Wirtschaftskrise, Perspektivlosigkeit, gestiegener Leistungsdruck...
Dies sind alles wichtige Faktoren für Selbstmord, aber warum muss dieser neuerdings als Amoklauf durchgeführt werden?

Und damit wären wir wieder beim Leben: Wenn dieses unter ständiger Selbst- und medialer Fremdbeobachtung steht, wird Sein zum Wahrgenommen-Werden.
Je mehr Menschen ihr Leben aber in irgendwelchen Doku-Shows verbringen, desto höher wird die Schwelle, ab der man tatsächlich gesehen wird.
Fast jeder Mensch ist heute bei Facebook, sehr viele führen Blogs, aber wer wird dadurch tatsächlich wahrgenommen?
Und verbindet sich dieses Bedürfnis, gesehen zu werden, mit dem Wunsch nach einem ähnlich intensiven Leben wie das von Künstlern wie Dave Gahan, kann daraus der Plan entstehen, wenigstens durch seinen Tod auf sich aufmerksam zu machen.

Denn wenn sich Sein auf Wahrgenommen-Werden reduziert, ist der Tod nur noch eine vernachlässigbare Grenze der Existenz. Das eigene Leben im Hier und Jetzt wird dadurch aber hochgradig entwertet.

Mittwoch, 15. August 2012

Jeder muss sich selbst helfen

Otmar Issing präsentiert in der Zeit (33) die gängigen Argumente gegen eine politische Lösung der Euro-Krise. Und macht dabei implizit auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam, der in der aktuellen Diskussion zu wenig Beachtung findet.

Die Standard- Argumente nach Issing:
1. Die politische Integration ist ein langer und schwierger Prozess, dessen Ausgang ungewiss ist.
Zunächst einmal hat niemand der Befürtworter behauptet, es handele sich dabei um eine Lösung mit Sofort-Wirkung. Es wird doch viel darauf spekuliert, dass die Einigung auf die Bedingungen einer solchen Integration eine Signalwirkung auf die Märkte ausüben.
Weiterhin ist zu hoffen, dass eine möglichst konkrete Formulierung dieser Bedingungen die Ungewissheit des Ausgangs nach Möglichkeit reduziert; aber da wir in einer Demokratie leben, muss man wohl mit einem gewissen Restrisiko leben.

2. Die Einigung auf eine politische Integration führt dazu, dass die "angeschlagenen" Länder in ihren Reformanstrengungen nachlassen.
Das ist im Rahmen der Möglichkeiten, aber wie realistisch ist dieses Szenario? Ist wirklich jemand davon überzeugt, dass sich die Griechen, Spanier und Italiener von dem Moment der Übereinkunft an auf die faule Haut (bzw. in die Sonne) legen werden, weil sie überzeugt davon sind, dass es die fleißigen Deutschen schon richten werden? Dieses Argument ist nicht nur respektlos gegenüber all diesen Menschen, die momentan unter erheblich erschwerten Bedingungen ihren Lebensunterhalt versuchen zu bestreiten; es schürt vor allem das Misstrauen gegenüber den Politikern in den "Geberländern", die nach Issing wohl nicht in der Lage sind, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

3. Selbst wenn es zu solchen Verträgen kommt, kann man diesen nicht trauen, da die bisher bestehenden Vereinbarungen ebenfalls gebrochen bzw. aufgeweicht wurden.
Dies ist ein interessanter Aspekt und er fasst in nuce die Haltung zusammen, die den anderen beiden Argumenten zu Grunde liegt: Issing spricht den Bürgern in Europa jegliche Lernfähigkeit ab. Die Menschen bzw. ihre Regierungen haben sich bisher nicht an Verträge gehalten und sie werden es auch in Zukunft nicht tun, wenn es zu ihrem Nachteil ist.

Damit macht Issing auf einen Aspekt aufmerksam, der bisher kaum angesprochen worden ist und den man laienhaft die "symbolischen Kosten" des Zerfalls der Euro-Zone nennen könnte.
Blicken wir doch einfach mal fünfzig oder hundert Jahre ind Zukunft. Die Euro-Zone hat sich aufgelöst, jedes Land hat seine nationale Währung wieder eingeführt und fährt damit mehr oder weniger gut.
Was werden unsere Enkel ihren Kindern erzählen, wenn sie nach dem mittlerweile historischen Projekt der europäischen Integration und seinem Scheitern gefragt werden? Na ja, die Menschen konnten sich damals eben nicht einigen, weil manche mehr Geld hatten und andere weniger und es deshalb ständig Konflikte gab. Und unsere Urururenkel werden sich verwundert fragen, warum sich die Europäer damals nicht einfach an einen Tisch gesetzt und eine Lösung gefunden, die die Eigenarten der Einzelnen nach Möglichkeit respektiert.

Vielleicht es vermessen, das zu behaupten, aber es fühlt sich momentan so an, als hätten Gegner der Integration diese Werte der Aufklärung schon längst aufgegeben. Ihrer Auffassung nach können sich Menschen nicht auf das Vernünftige einigen, sie können nicht zu Gunsten der Allgemeinheit auf ihren persönlichen Vorteil verzichten und vor allem können sie sich nicht entwickeln und aus ihren Fehlern lernen.

Natürlich kann man hier einwenden, dass in Zeiten der Post-Alles die Werte der Aufklärung längst überholt sind. Aber wenn man sich den politischen Diskurs genauer anschaut, wird man schnell eines Besseren belehrt. Westliche Poltiker prangern den Paternalismus in arabischen, afrikanischen und asiatischen Ländern genau unter Berufung auf diese Prämissen an: Man solle die Bürger über Wohl und Wehe des Landes entscheiden lassen und sie nicht zu Gunsten der Fehlervermeidung entmündigen.
Wie kann die europäische Politik solchen Ländern weiterhin gegenübertreten, wenn sie genau diese Werte längst verabschiedet hat und nur noch wirtschaftlichen Interessen folgt?

Die symbolischen Kosten eines Zerfalls der Euro-Zone lassen sich nicht quantifizieren; aber ursprünglich bestand der Unterschied zwischen Wirtschaft und Politik auch darin, dass letzere Raum für Ideen bereithält, dass sie Menschen nicht auf ihren Status als Marktakteure reduziert.
Vielleicht wäre die Rückkehr zu einem solchen Verständnis von Politik der erste Schritt , sich von der Wirtschaft zu emanzipieren. Vielleicht braucht die europäische Politik einfach eine zweite Aufklärung, um sich von ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit gegenüber den Märkten zu befreien.


Montag, 13. August 2012

Romney Hood

http://www.thedailyshow.com/watch/thu-august-9-2012/democalypse-2012---dog-days-edition


Mitt Romney kann man aufgrund vieler Eigenschaften kritisieren: Für die Inhalte, die er vertritt; für die Inhalte, die er nicht vertritt; dass er eigentlich keine Inhalte vertritt. Von Seiten der Linken wird besonders seine Abgehobenheit hervorgehoben, denn Romney scheint den Bezug zum Leben der Mittelschicht vollkommen verloren zu haben. Kostprobe: Seine Frau Ann "drives a couple of Cadillacs". Bürgernähe sieht anders aus..

http://www.mediaite.com/online/the-worst-mitt-romney-gaffes-caught-on-tape/#6

Es ist jedoch bemerkenswert, dass ein zentraler Kritikpunkt nur wenig explizite Beachtung findet und dennoch implizit bei jedem öffentlichen Auftritt Romneys mitschwingt:

Romney ist unsicher, er fühlt sich unter Menschen nicht wohl, er ist nicht schlagfertig und er kann nicht frei reden. Deshalb fühlt sich jeder seiner Auftritte an wie Laufen auf Eierschalen; man fiebert innerlich mit, welchen Patzer er sich dieses Mal wieder erlaubt.

So z.B. in dem Daily-Show-Ausschnitt zu "Romney Hood". Von der Obama-Kampagne wird Romney unterstellt, dass er die Mittelschicht zu Gunsten der Reichen beraube. Obama fasst diese Behauptung in dem Begriff "Romney Hood" zusammen, da es sich bei seiner Politik um ein umgekehrtes "Robin Hood"- Verhalten handele. Diese Bezeichnung, ob zutreffend oder nicht, sitzt, wackelt und hat Luft.
Romney versucht in seiner Replik nun das fast Unmögliche: Diesen Angriff mit einem ähnlichen "catch-phrase" zu kontern. Was jedoch zum Scheitern verurteilt ist, da es seinem Team offensichtlich an Kreativität und ihm an der Fähigkeit fehlt, einen solchen Begriff möglichst effektivoll zu formulieren.

Und genau in diesem Kommentar manifestieren sich seine gesamte Unsicherheit im Umgang mit den Medien und der Öffentlichkeit: "If I were to coin a term, it would be "Obamaloney".
Es liegt nicht nur daran, dass dieser Begriff weder witzig, noch eingängig ist.
Die einleitende Formulierung "If I were to coin a term.." ruiniert das gesamte Unternehmen. Denn sie lässt als conditionalis irrealis die Möglichkeit offen, ob Romney diesen Terminus tatsächlich formuliert. Oder ob er ihn nur formulieren würde.

Was wiederum zwei Aspekte verdeutlicht: Erstens ist das Team Romney nicht in der Lage, Medien effektvoll einzusetzen. Catch- Phrases brauchen keine Einleitung, sondern lediglich eine bedeutungsschwangere Pause, wie Obama in seiner Rede eindrucksvoll beweist.

Zweitens: Romney ist sich anscheinend noch nicht ganz sicher, ob er dieses Spiel überhaupt spielen möchte. Ist er bereit für den kontinuierlichen verbalen Schlagabtausch, der sich amerikanische Poltik nennt? Oder ist es für ihn vielmehr ein hypothetisches Szenario, auf das er sich unter Umständen einlassen könnte? Man weiß es nicht.

Man könnte diese Schwäche Romney natürlich PR-technisch zu einer Stärke ausbauen und ihn als rhetorischen Underdog gegenüber dem ehemaligen Jura-Professor Obama präsentieren. Romney als Mann, der die Sprache des Volkes spricht.
Was diesen Weg jedoch versperrt, ist die grundlegende Inkonsistenz in Romneys öffentlicher Person. Oder anders formuliert: Wie wird jemand, der offenbar so unsicher ist, dass er in der Öffentlichkeiten kaum einen gerade Satz zustande bekommt, PARTNER bei Bain Capital?

Von Unternehmensberatern kann man denken, was man möchte, aber eine Eigenschaft wird ihnen wohl kaum jemand zuschreiben: offenkundige Unsicherheit. Wenn jemand durch die Welt reist und als Außenstehender meint, Firmen den Weg zum Erfolg vorschreiben zu können, wird er sich wohl nicht für vollkommen unfähig halten bzw. dies gut zu verbergen wissen.
Romney hat in diesem Metier eine außerordentlich erfolgreiche Karriere lanciert. Wie hat er das geschafft, wenn er jemandem wie Barack Obama rhetorisch nicht gewachsen ist? Ich bin mir sicher, dass er in den jeweiligen Vorständen der Unternehmen auf gewieftere Opponenten getroffen ist.

Und wahrscheinlich ist dies der Knackpunkt seiner gesamten Bewerbung um das Präsidentamt: Das fehlende Rückgrat, die undurchsichtigen Geschäftspraktiken und sein inhaltlicher Opportunismus sind eigentlich nur Symptome der grundlegenden Inkonsistenz seiner öffentlichen Person. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, wie jemand in verbalen Duellen ständig den Kürzeren zieht und sich bei jeder sich ihm bietenden Möglichkeit daneben benimmt und trotzdem eine solche Karriere in einem derart anspruchsvollen Geschäftsfeld ablegt. Da ist etwas nicht ganz kosher bei Mitt Romney und dieses Gefühl wird bei jedem seiner öffentlichen Auftritte greifbar. 



Samstag, 11. August 2012

Fareed Zakaria

Mr. Zakaria:
Adam Winkler, a professor of constitutional law at UCLA, documents the actual history in Gunfight: The Battle over the Right to Bear Arms in America. Guns were regulated in the U.S. from the earliest years of the Republic. Laws that banned the carrying of concealed weapons were passed in Kentucky and Louisiana in 1813. Other states soon followed: Indiana in 1820, Tennessee and Virginia in 1838, Alabama in 1839 and Ohio in 1859. Similar laws were passed in Texas, Florida and Oklahoma. As the governor of Texas (Texas!) explained in 1893, the “mission of the concealed deadly weapon is murder. To check it is the duty of every self-respecting, law-abiding man.”
Ms. Lepore:
As Adam Winkler, a constitutional-law scholar at U.C.L.A., demonstrates in a remarkably nuanced new book, “Gunfight: The Battle Over the Right to Bear Arms in America,” firearms have been regulated in the United States from the start. Laws banning the carrying of concealed weapons were passed in Kentucky and Louisiana in 1813, and other states soon followed: Indiana (1820), Tennessee and Virginia (1838), Alabama (1839), and Ohio (1859). Similar laws were passed in Texas, Florida, and Oklahoma. As the governor of Texas explained in 1893, the “mission of the concealed deadly weapon is murder. To check it is the duty of every self-respecting, law-abiding man.”

(entnommen von http://mediadecoder.blogs.nytimes.com/2012/08/10/time-magazine-to-examine-plagiarism-accusation-against-zakaria/?ref=media )

Ohne ihn hier übermäßig verteidigen zu wollen, aber vielleicht sollte man doch einen Unterschied zwischen Plagiat und schlampigem Arbeiten machen, bevor man jemanden öffentlich demontiert.

Wie man an den Textstellen erkennen kann, gibt Zakaria Lepores Zusammenfassung des Buches in nicht ganz eigenen Worten wieder. Aber mehr auch nicht.
Es steht außer Frage, dass er auf ihren Text hätte verweisen müssen, aber es ist wiederum auch nicht so, als hätte er eine originäre Idee für seine eigene ausgegeben.

Damit möchte ich nicht sagen, dass man sich an schlechten Texten und Ideen wahllos bedienen darf. Vielmehr kann ich mir einfach gut vorstellen, dass er sich den Absatz irgendwo notiert, in seine Kolumne übernommen und dann die Quelle nicht mehr ausfindig machen konnte.

Wie gesagt, schlampiges Arbeiten, was sich für einen derart renommierten Journalisten nicht gehört. Dennoch fände ich es schade, wenn er aufgrund dieser Sache seine Posten verliert und die Welt nicht mehr an seinen originären Ideen teilhaben lässt.

Anmerkung: That's great news!
http://mediadecoder.blogs.nytimes.com/2012/08/16/after-review-time-says-fareed-zakarias-plagiarism-was-isolated-incident/?ref=media

Donnerstag, 9. August 2012

Panik statt Politik?

Im gestrigen Leitartikel (09.08.) der Zeit fordert Bernd Ulrich einen neuen Modus der europäischen Politik: Man solle jetzt nicht ad hoc große Entwürfe zur Zukunkft Europas vorlegen, sondern den Prozess inkrementell und damit flexibel gegenüber Fehlern vorantreiben.
Aus Ulrichs Sicht gebietet sich diese Vorgehensweise, da man Europa nur lernen, aber den Bürgern nicht per Doktrin verordnen kann.

Seinen theoretischen Opponenten wirft Ulrich vor, durch die Idee der finalité, d.h. der endgültigen Lösung der Krise durch ein umfassendes Zukunfts-Projekt, ein weiteres politisches Ziel zu etablieren, das weder notwendig noch hinreichend zur Bewältigung der aktuellen Situation sei.

Man mag von der finalité und dem damit verbundenen Vorschlag der Professoren Habermas, Nida-Rümelin und Bofinger halten, was man möchte, aber letztendlich macht er auf ein Defizit aufmerksam, das auch Ulrich mit seinem "pädagogischen" Ansatz nicht wegschreiben kann: So lange nicht klar ist, wie es mit der EU weitergeht, besteht auch keine Klarheit darüber, wie die Wertentwicklung von (süd-)europäischen Staatsanleihen aussehen könnte. Folglich werden die Märkte nicht wissen, wie mit diesen Papieren zu verfahren ist, weshalb das Chaos andauern wird.

Im Gegensatz dazu geht Ulrich davon aus, dass eine Einigung auf eine Zielperspektive die Dissonanzen nur noch vergrößern würde, da man nicht mehr nur über die Lösung der Krise, sondern zusätzlich auch über die Zukunft  des Kontinents übereinkommen müsste.
Ulrich bringt hier jedoch kein Argument gegen die allgemein vertretene Auffassung, dass beide Ziele einander bedingen und gar nicht "ungleichzeitig" behandelt werden können.

Was spricht nach Ulrich also gegen diese einheitliche Lösung? Sein "pädagogischer" Ansatz richtet sich grundlegend gegen die Kommentare Mario Monits, der sich als nicht-gewählter Regierungschef ua. zu der Bemerkung verleiten ließ, dass es sich doch ohne die Mitbestimmung der Parlamente viel leichter regieren ließe.
Natürlich, so kann die europäische Integration nicht aussehen. Ulrich schlägt im Gegensatz dazu vor, die Mündigkeit der Bürger und damit auch die infinalité des Zusammenwachsens stärker zu betonen. Man darf diesen Prozess von Seiten der Politik nicht  a priori durch große Enwürfe determinieren, denn das behindere den Lernprozess der Bürger.

Wenn Ulrich hier jedoch die Analogie des Lernens bemüht, sollte er sich im Klaren darüber sein, dass dieses nicht im luftleeren Raum stattfinden kann. Der Rahmen solcher Prozesse wird meist von außen gesetzt, so z.B. durch Eltern oder Lehrkräfte. Sogar bei selbstorganisiertem Lernen, wie es Ulrich hier vorschwebt, werden die Ziele extern vorgegeben und nur der Lernprozess selbst unterliegt der Kontrolle des Lernenden.
Kurz gesagt: Auch wenn wir als mündige Bürger den Weg zur europäischen Integration und zur Lösung der Schuldenkrise selbst bestimmen sollen, brauchen wir dafür einen Rahmen, in dem diese Entwicklung voranschreiten kann, und vor allem brauchen wir ein Ziel, auf das wir zusteuern. Ohne diese beiden Grundbedingungen kann auch selbstorganisiertes Lernen nicht funktionieren; und damit wären wir wieder am Anfang der Diskussion, nämlich der Frage, wie dieses Ziel aussehen soll.

Schlafen, Essen, Arbeiten?

Wenn man diese Woche (32/2012) die WirtschaftsWoche liest, findet man darin einen Bericht über Frank Appels Reise nach China. So weit, so interessant, wie der Chef von DHL versucht, auch in Asien seine Konzern-Philosophie zu etablieren.

Speaking of which: Laut WirtschaftsWoche besteht Appels Motto, wenn man so möchte, in oben genannten Dreisatz: Schlafen, Essen, Arbeiten.
Diese Aussage wird vom Autor nicht dahingehend qualifiziert, ob es sich um die grundsätzliche Lebenseinstellung Appels handelt oder sich der Kommentar vielmehr auf seine terminschwangere Asienreise bezieht.
(Vielleicht braucht ein solcher Satz in CEO-Kreisen keine Erläuterung, weil sich das Leben der Erfolgreichen wesentlich um diese drei Aspekte dreht und lediglich ihre Reihenfolge indidviduell variiert.)

Interessant ist jedoch, dass auch von Seiten Appels, der den Artikel mit Sicherheit abgenickt hat, keine Ergänzung gewünscht wurde.
Und das, obwohl er sich laut WiWo-Artikel doch so sehr über das Portrait in der Zeit gefreut hat, das ihn, Caspar Rorstedt und andere CEOs als neue "Beta-Männchen" charakterisiert. Die Auszeichnung "Beta" erhalten die neuen Chefs dadurch, dass sie ihr Chef-Sein nicht aus persönlichem Narzissmus betreiben, sondern die Teamleistung in den Vordergrund stellen.
Sie fallen nicht mehr durch Statussymbole und öffentliche Wutausbrüche (oder Victory-Zeichen) auf und kommen lieber mit dem Rucksack zur Arbeit.

Die Autoren der Zeit monieren hierbei, dass es solchen Beta-Männchen in Krisenzeiten häufig an Strahl- und Führungskraft fehlt. Logisch: Wer sein Selbstbild von seinem Erfolg bzw. dem seines Unternehmens abhängig macht, wird mit einer größeren Verve für sein und dessen Überleben kämpfen. Pragmatiker arrangieren sich eben schneller mit den Gegebenheiten.

Dennoch stellt sich die Frage, ob Beta-Männchen wie Appel so ganz ohne Narzissmus auskommen oder ob sie ihn nicht vielmehr in ihrer Anspruchslosigkeit tarnen. Wer vom Leben nicht mehr fordert als "Schlafen, Essen, Arbeiten" zu dürfen, formuliert damit Bedürfnisse, die weiter hinter die dies Normalbürgers einer Konsumgesellschaft zurückfallen.
Ist dieser Asketismus innerhalb einer Konsumgesellschaft nicht aber die extremste Form der Selbststilisierung? Wenn man in einer Umwelt lebt, in der sich jeder durch die Wahl seiner Waren hervortun möchte, ist die Ablehnung dieser Ordnung doch die einzige Möglichkeit, sich gegenüber den Anderen hervorzutun.
Diese Selbststilisierung sei Appel gegönnt; dennoch bin ich mir manchmal nicht sicher, ob solche Menschen über die Bedeutung ihrer Worte genügend nachdenken. Denn Appel als Asket exemplifiziert die Regeln des Erfolges; und es ist irgendwie schade, dass innerhalb dieser Glück oder Freude gar keine Rolle spielen.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Khan Academy

Reboot the school
Die Einwände gegen das Konzept werden viel zu schwach formuliert..
Zunächst besteht das Problem bei Khans Methode, dass sie zu sehr auf Kinder aus der Mittelschicht zugeschnitten ist, d.h. Kinder mit einem Computer und einem Raum, in dem sie diesen ungestört benutzen können.
Gleichermaßen brauchen Kinder jemanden, der ihnen auch beim Lernen Grenzen setzt, im positiven wie im negativen Sinne. "Insecure Overachievers" könnten sich nach Khans Methode dazu veranlasst sehen, ihre gesamte Freizeit mit Lernen zu verbringen, um nur ja ihre selbstgesteckten oder von den Eltern formulierten Ziele zu übertreffen. Kinder mit geringen Ambitionen finden wiederum nicht einmal die Motivation, sich die Clips überhaupt anzusehen.
Somit wird durch Online-Tutoring die Verantwortung für das Lernen an die SuS und damit auch ihre Eltern abgegeben. Das kann in bildungsorientierten Familien gut funktionieren, aber es ist fraglich, ob es Kindern hilft, die nicht den entsprechenden sozialen HIntergrund haben.

Weiterhin wird durch seine Art der Schule die Funktion der Erziehung zu großen Teilen aufgegeben: Denn wenn alle SuS individuell nach eigenem Tempo lernen, kommt nur noch wenig soziale Interaktion zustande, durch die SuS wichtige Sozialkompetenzen erwerben. Diese zu vermitteln, ist gerade heutzutage Aufgabe der Schule, da die Kinder in der ihrer Freizeit häufig allein vor einem Bildschirm sitzen.
Khans Methode ist sicherlich ein wichtiger Beitrag, um Binnendifferenzierung innerhalb der Schule zu erleichtern, aber dennoch sollte sie nicht dermaßen einseitig dargestellt werden.